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Advent #3: Tag der Menschen mit Behinderung

Zum 'Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung' einige Gedanken, die durchaus fordernd zu lesen sein könnten - was angesichts der Bedeutung des Tages aber angemessen erscheint. (Der Text ist aber auch als Audiodatei eingefügt)



Mein Sohn hat das Alström-Syndrom, er hat unter anderem eine Sehbehinderung und ist dadurch fast blind. Ben hat ungleich weniger Zeit, sich die Welt zu erobern und er braucht ungleich mehr Kompetenz, um seine Ziele zu erreichen, sein Leben gestalten zu lernen.

Mein Sohn ruft Mitgefühl hervor (und das ist gut), was er – wie alle anderen mit besonderen Merkmalen - allerdings einfordert, ist Respekt und Anerkennung. Und das bedeutet, die eigene Einstellung und Haltung zu überprüfen.

Lasst es mich auch anders formulieren:


Viele von uns haben Antoine de Saint-Exupérys Kleinen Prinzen gelesen. Die meisten (auch oft jene, die das ganze Buch nicht gelesen haben) zitieren gern, die vom Autor als Geheimnis bezeichnete einfache Haltung:


Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.

Also schließe ich meine Augen, wenn ich mit meinem Sohn zwei Straßen weit gehe, höre den Stadtlärm verblassen (habe ich schon erwähnt, dass es Teil der Krankheit ist, auch das Gehör zu verlieren?) oder lausche einfach der Stille.


Ich werde nie seine Erfahrungen machen, aber ich werde sie mit all meinen Möglichkeiten verstehen lernen, wenn ich mit meinem Herzen sehen kann.


Daraus entsteht die Anforderung an uns alle, unsere Welt und unser Umfeld so zu gestalten, dass sie uns als verschiedene Individuen mit unterschiedlichen Potenzialen und Möglichkeiten gerecht wird.

Ich will mit meinem Sohn gemeinsam immer wieder dort hinschauen, wo wir zwar unsere Werte und Gesetze haben, diese aber sträflich vernachlässigen in der Umsetzung; so sträflich vernachlässigen, dass sie oft zu unüberwindbaren Hindernissen werden für die Betroffenen.


Ben bringt mich immer wieder zum Staunen und entfacht meine Begeisterung, wenn er zeigt, mit welcher Selbstverständlichkeit, er sich in dieser Welt voller Hindernisse bewegt, mit welchen unvorstellbaren Leistungen er seine Ziele verfolgt (lernt Klavier spielen – eine Hand am Klavier, die andere im Braille-Notenbuch, zum Beispiel) und mit welcher Geduld er sich die notwendigen Kompetenzen erwirbt.


Nun: diese Welteroberung mit meinem Sohn macht mich auch ungeduldig mit uns Erwachsenen oder unserer normierten Welt. Wir – in Europa – leben statistisch gesehen in Wohlstand, in Demokratie und fordern gerne und selbstverständlich unsere Freiheiten und unseren Bedürfnisse ein.


Ich frag mich manchmal, ob wir bei diesem „Ich habe das Recht auf ….“ vergessen haben, dass Gerechtigkeit aus der Perspektive anderer auch immer ein bisschen anders ausschaut. Wir fordern Gleichberechtigung, Gleichbehandlung und Gleichstellung.


Wir fordern Chancengleichheit und müssen zur Kenntnis nehmen, dass es wohl nicht das Recht des Lautesten sein kann, dieses GLEICH zu bekommen, sondern dass wir dies nur gemeinsam erreichen können.

Aber um dies verstehen zu können, müssen wir uns auf die Anderen, die nicht im Mainstream driften, einlassen, andere Perspektiven verstehen und gemeinsam an den Veränderungen arbeiten. Und dann werden wir verstehen, dass es den Mainstream nicht gibt und wir alle unsere Besonderheiten haben und unsere Gesellschaft all diesen besonderen Menschen gerecht werden sollte."


Gehen wir das doch an, setzen wir es um, jeden Tag, in unseren Haltungen und Handlungen.



# BECAUSE WE CAN

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